Ein Schüler kann keine Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den weiteren Besuch eines privaten Gymnasiums mit Internat erhalten, wenn ein wohnortnahes Gymnasium vorhanden und dessen Besuch zumutbar ist. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Urteil vom 18. April 2018 entschieden.

Die Schülerin (Klägerin) besuchte seit dem 5. Schuljahr die private Schule, eine staatliche anerkannte und genehmigte Ersatzschule in Bayern. Dort war sie in dem angegliederten Internat untergebracht. Bei der Privatschule handelt es sich um eine reine Mädchenschule für Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund mit einem Gymnasium naturwissenschaftlicher Prägung, das in gebundener Ganztagesform (incl. Intensivierungs- und Ergänzungsunterricht, Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeunterricht) unterrichtet.

Im September 2015 beantragte die Klägerin Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Besuch der Jahrgangsstufe 11 an der Privatschule. Mit Bescheid vom 28. September 2015 lehnte der beklagte baden-württembergische Landkreis den Antrag mit der Begründung ab, mit dem Gymnasium W. stehe eine entsprechende Ausbildungsstätte zur Verfügung. Widerspruch und Klage der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen blieben erfolglos.

Der 12. Senat des VGH hat die Berufung der Klägerin gegen das mit Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Die Gewährung von Ausbildungsförderung setze in § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG u.a. voraus, dass der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohne und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar sei. Hier wohne die Klägerin zwar nicht bei ihren Eltern, von deren Wohnung aus sei eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte aber erreichbar. Das örtliche allgemeinbildende Gymnasium sei eine zumutbare Ausbildungsstätte, weil es die Möglichkeit biete, ein naturwissenschaftliches Profil zu wählen. Damit entspreche es der gewählten Privatschule, die hinsichtlich des Ausbildungsganges im Ausbildungsstättenverzeichnis als naturwissenschaftlich-technisches Gymnasium gelistet sei.

Soweit in der Rechtsprechung teilweise vertreten werde, dass es an der Zumutbarkeit der Ausbildungsstätte fehle, wenn die wohnortnahe Schule zwar den gleichen Schulabschluss vermittele wie die gewählte Ausbildungsstätte, anders als diese aber eine spezielle Betreuung für Migranten (z.B. Sprachförderung; spezielle, migrationstypische Defizite ausgleichende Hausaufgabenbetreuung) nicht anbiete, könne der Senat offenlassen, ob er sich dieser Rechtsprechung anschließen würde. Denn bei der Klägerin könne bezogen auf den September 2015 kein besonderer migrationstypischer Förderbedarf festgestellt werden. Hinzu komme, dass die gewählte Privatschule keine spezielle Ausrichtung am Förderbedarf von Schülern mit Migrationshintergrund erkennen lasse. Bei den Leistungen, die dort am Nachmittag über den regulären Unterricht hinaus erbracht würden, handele es sich um Angebote der angegliederten Internatsbetreuung, die grundsätzlich ausbildungsrechtlich unbeachtlich seien. Aus diesem Grund handele es sich bei den Intensivierungsstunden, der Hausaufgabenbetreuung und der Nachhilfe im Rahmen einer Ganztagesbetreuung auch nicht um ein spezifisches Unterrichtsangebot, welches dieser Schule insgesamt eine besondere Prägung gäbe.

Die Verweisung der Klägerin auf das städtische Gymnasium sei für das Schuljahr 2015/16 auch mit Rücksicht darauf zumutbar, dass der Wechsel zu Beginn der 11. Klasse und damit innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren vor dem Abitur hätte stattfinden müssen. Denn die Klägerin habe die im Zeitpunkt ihrer BAföG-Antragstellung bestehende Situation, in der Jahrgangsstufe 11 ein privates Gymnasium zu besuchen, aufgrund eigener Entscheidung selbst herbeigeführt durch die Wahl der auswärtigen Schule ab Klasse 5 auf Basis vollständiger Finanzierung durch die Eltern. Auch die Tatsache, dass die Klägerin bei einem Wechsel auf das örtliche Gymnasium das Fach Spanisch nicht hätte weiterführen können, habe den Wechsel nicht unzumutbar gemacht. Denn sie habe Spanisch erst in der Klasse 10 und auch nur mit drei Wochenstunden belegt. Das Fach habe daher ihre bisherige Ausbildung nicht geprägt.

Das Urteil vom 18. April 2018 ist rechtskräftig (12 S 1098/17)

Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim vom 07.08.2018

Anmerkungen: Dieses Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, in der sich das Gericht mit der Zumutbarkeit des konkreten öffentlichen Gymnasiums in der konkreten Sitaution der Klägerin auseinandersetzt. Dabei lässt der Gerichtshof bewusst die Frage offen, ob eine fehlende besondere Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ein rechtlich anerkanntes Unzumutbarkeitskriterium darstellt. Dies wird von einigen Gericht so vertreten.
Hinsichtlich des Einwandes, dass ein Wechsel zwei Jahre vor dem Abitur unzumutbar sei, stellt der Verwaltungsgerichtshof klar, dass sich Betroffene hierauf nicht berufen können, wenn die Situation durch die Betroffenen selbst herbeigeführt wurde.
Anders hätte der Fall hier gelegen, wenn das örtliche Gymnasium nicht auch dem gewählten fachlichen Ausbildungsprofil (hier: naturwissenschaftlicher Schwerpunkt) entsprochen hätte. Im Ergebnis bleibt also in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob die wohnortnahe öffentliche Ausbildungseinrichtung anhand der Vorgaben der Rechtsprechung als zumutbar zu bewerten ist.