Düsseldorf, 27. April 2018 – Ob Grundschüler oder Abiturienten: Klassenfahrten sind für die meisten ein lang ersehntes Ereignis, das mit großer Aufregung und Freude verbunden ist. Für Lehrer hingegen bedeuten Klassenfahrten stets eine große Verantwortung, insbesondere im Hinblick auf die Aufsichtspflicht. Was ist seitens der Schule, von Lehrern sowie von Schülern und Eltern zu beachten, damit die Klassenfahrt bei allen in positiver Erinnerung bleibt?

Die Aufsichtspflicht ist eine der wichtigsten Aufgaben der Schule gegenüber den Eltern. Ziel ist es, dass weder die Schüler selbst noch außenstehende Dritte gefährdet oder geschädigt werden.

Die allgemeine Aufsichtspflicht von Lehrkräften ist in Nordrhein-Westfalen unter anderem in den Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 57 Abs. 1 SchulG NRW geregelt (Runderlass Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW) v. 18.07.2005, BASS 12 – 08 Nr.1). Danach sind die Aufsichtsmaßnahmen der Schule unter Berücksichtigung möglicher Gefährdung nach Alter, Entwicklungsstand und der Ausprägung des Verantwortungsbewusst-seins der Schüler, bei behinderten Schülern auch nach der Art der Behinderung, auszurichten. Die Art der Aufsicht hängt dabei von der jeweiligen konkreten Situation ab; ständige Anwesenheit der Lehrkraft ist nicht in jedem Fall zwingend geboten. Die allgemeine Aufsichtspflicht der Schule entfällt grundsätzlich gegenüber volljährigen Schülern, während die sich aus dem Schulverhältnis ergebende Fürsorgepflicht ihnen gegenüber fortbesteht (in einer auf dieses Alter abgestimmten Form). Der ordnungsgemäße Unterrichtsbetrieb und die Unfallverhütung verlangen jedoch, dass in besonderen Situationen die Schule auch eine Aufsicht über volljährige Schüler ausübt, insbesondere wenn diese als Personengruppen auftreten. Dies gilt beispielsweise für besondere schulspezifische Gefahren, die unter Umständen bei Schulfahrten auf-treten können.

Für die einzelnen Unterrichtsbereiche gelten zusätzlich besondere Aufsichts- und Unfallverhütungsregelungen (z.B. für Schulwanderungen und Schulfahrten. So heißt es unter Ziffer 6.1 der Richtlinie für Schulfahrten (RdErl. MSW v. 19.03.1997, BASS 14-12 Nr. 2) unter anderem.: „Art und Umfang der Aufsicht haben sich nach den jeweiligen Gegebenheiten zu richten; mögliche Gefährdungen sowie Alter, Entwicklungsstand und Ausprägung des Verantwortungsbewusstseins der Schülerinnen und Schüler, bei Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen und auch die Art der Beeinträchtigung sind zu berücksichtigen. Bei schwierigen Aufsichtsverhältnissen sowie bei mehrtägigen Veranstaltungen ist in der Regel eine weitere Begleitperson mitzunehmen. Bei mehrtägigen Fahrten gemischter Gruppen ist in der Regel die Teilnahme von mindestens einer weiblichen und einer männlichen Begleitperson erforderlich. Bis einschließlich Jahrgangsstufe 4 ist auch eine ausschließlich weibliche Begleitung zulässig.“

Nach den beiden genannten Erlassen des Ministeriums dürfen einzelne Aufsichtsbefugnisse zeitweise geeigneten Hilfskräften insoweit übertragen werden, als dadurch im Einzelfall eine angemessene Aufsicht gewährleistet bleibt. Solche geeigneten Hilfskräfte können auch Eltern oder volljährige Schüler sein, die von der verantwortlichen Lehrkraft aus-gewählt und als weitere Begleitung beauftragt werden, wobei die Aufsichtspflicht der Lehrkraft jedoch fortbesteht.

Somit gibt es aus juristischer Sicht kein allgemeingültiges Handlungsschema für eine „richtige“ Vorgehensweise zur Vermeidung einer Aufsichtspflichtverletzung im speziellen Einzelfall. Dies beurteilt verantwortungsbewusst grundsätzlich die zuständige Lehrkraft nach pädagogischer Erfahrung und allgemeiner Lebenserfahrung. Es gilt generell, also auch bei Klassenfahrten, dass eine absolut lückenlose Überwachung weder möglich noch nötig ist; allerdings muss die notwendige Aufsicht von Anfang bis Ende einer Schulveranstaltung gewährleistet sein – gerade auch während Klassenfahrten. Gemäß den oben genannten Richtlinien für Schulfahrten kann die Lehrkraft, welche die Klassenfahrt leitet, unter Beachtung der vorstehend skizzierten Grundsätze der allgemeinen Aufsicht und nach vorheriger Absprache mit den Eltern den Schülern die Möglichkeit einräumen, im Rahmen der Schulfahrt zeitlich und örtlich begrenzte, angemessene Unternehmungen (in der Regel in Gruppen) durchzuführen, ohne dass dabei eine Aufsichtsperson jeden Schüler überwacht. Auch bei solchen nicht unmittelbar beaufsichtigten Unternehmungen muss eine Begleitperson jederzeit erreichbar und an-sprechbar sein.

Vor Antritt der Fahrt sind mit den Schülern Verhaltensregeln zu verein-baren, ebenso sollte über Konsequenzen bei Fehlverhalten informiert werden. Gemäß den Schulbestimmungen des Landes NRW ist der Konsum von Alkohol bei schulischen Veranstaltungen untersagt, also auch während Klassenfahrten. Auf einer Schulkonferenz kann jedoch unter Berücksichtigung des Jugendschutzgesetzes im Voraus eine Ausnahmegenehmigung beschlossen werden, die keine branntweinhaltigen Getränke beinhaltet.

Bei folgendem Fall lag nach der Entscheidung des Landgerichts Itzehoe  keine Verletzung der Aufsichtspflicht vor (Landgericht Itzehoe,SPE aF. S. VI F V/107):
Während eines Ausflugs von zwei Lehrern mit 25 Schülern im Alter von 9-12 Jahren wurde eine Pause auf einem öffentlichen Parkplatz eingelegt. Einige Schüler entfernten sich mit Erlaubnis, um zur Toilette zu gehen; ferner wurde angeordnet, sich nur bei den zu überblickenden Sitzbänken aufzuhalten. Dennoch setzten sich einige Schüler unbemerkt ab und beschädigten ein Auto. Hier lag nach Auffassung des Landgerichts keine Pflichtverletzung vor, da nicht verlangt werden könne, jeden Schüler lückenlos zu überwachen. Es sei ausreichend gewesen, eine Verhaltensanweisung auszusprechen. Da es keine entgegen-stehenden Anzeichen gab, durften die Lehrer von der Befolgung ihrer Anordnung ausgehen und sich auf ein allgemeines Beobachten beschränken.

Wenn allerdings ein bestimmter Ort besondere Gefahren birgt, die bekannt oder erkennbar sind, so sind strengere Anforderung an die Aufsicht zu stellen und eine schlichte Verhaltensanweisung kann gegebenenfalls nicht ausreichend sein, wie bei folgendem Fall (Landgericht Hagen, SPE aF. S. VI F V/101): Eine Lehrkraft unternahm als einzige Aufsichtsperson eine Wanderung mit ihrer Klas-se (40 Schülerinnen zwischen 12 und 13 Jahren) zu einer Burg, wo auch eine Siegessäule besichtigt werden konnte. Die Lehrkraft setzte sich auf eine Bank und erlaubte einigen Schülerinnen, die Siegessäule zu besichtigen. Den Bereich an der Säule konnte die Lehrkraft von ihrem Platz aus nur teilweise einsehen. Ihr war bekannt, dass von dem Sockel der Säule der Boden in einige Richtungen steil und felsig abfiel. Sie ermahnte daher ihre Schülerinnen vorsichtig zu sein. Die Mädchen kletterten auf den Sockel, von wo sie nicht mehr von der Lehrkraft beobachtet werden konnten. Eine Schülerin sprang den Abhang hinunter und verletzte sich schwer am Unterschenkel (komplizierter Bruch, der Amputation nötig machte).
Nach Auffassung des Gerichts ist es weder möglich noch nötig, alle Schüler ständig im Auge zu haben. Wenn jedoch ein bestimmter Ort besondere Gefahren birgt, sind strengere Anforderungen an die Aufsichtsleistung zu stellen. Der Lehrkraft hätte insbesondere aufgrund ihrer Kenntnis des Gebietes klar sein müssen, dass die Schülerinnen durch den Sockel den Anreiz erhielten, auf diesen zu klettern, und sie wusste dementsprechend um die sich hieraus ergebenden Gefahren. Die einfache Ermahnung genügte unter diesen Umständen nicht. Das Gericht sah außerdem auch bei der Schulleitung eine Pflichtverletzung, weil nur eine einzige Lehrkraft für diesen Ausflug abgestellt wurde. Zudem wurde der Schadensersatzanspruch der verletzten Schülerin wegen Mitverschulden gekürzt, da sie durch ihr fahrlässiges Verhalten den Unfall selbst mit verursacht hätte.