Das BSG hat entschieden, dass Schüler auch während schulisch initiierter Gruppenarbeiten, die außerhalb des Schulgeländes nach Unterrichtsschluss stattfinden, unfallversichert sind.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger bei einer Videoaufnahme als Schüler in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war. Der Kläger war Schüler einer Realschule. Im Rahmen des Musikunterrichts wurde die Thematik „Musik und Werbung“ bzw. „Wirkung von Musik“ bearbeitet. Zunächst wurde im Unterricht die theoretische Grundlage erarbeitet, danach sollten in Kleingruppen Werbeclips hergestellt werden. Die Aufgabe bestand darin, einen Werbeclip zu einem bestimmten Produkt zu filmen, zu schneiden, zu bearbeiten und mit passender Musik zu unterlegen. Zunächst war vorgegeben, dass der Werbeclip während des Musikunterrichts auf dem Schulgelände gedreht werden sollte. Auf Bitten der Schüler erhielten diese von der Musiklehrerin die Möglichkeit, den Werbeclip auch außerhalb des Schulunterrichts im privaten Bereich zu drehen. Vorgegeben war der Abgabetermin, nicht aber Drehzeit und Drehort. Von dieser Möglichkeit machte die Hälfte der Schüler Gebrauch. Am 07.03.2013 traf sich der Kläger nachmittags mit drei Mitschülern zuhause bei einem Mitschüler, um den Werbeclip zu drehen, in dem er mehrere Szenen spielen sollte. Er war der Annahme, er werde gefilmt, während er mit einem Getränk aus der Haustür herauskam. Tatsächlich war der Akku des Aufnahmegeräts leer. Als er das merkte, verließ er wütend den Drehort in Richtung nach Hause. Einer der Mitschüler verfolgte ihn und rempelte ihn mit dem Ellenbogen an. Hierbei stolperte der Kläger, fiel auf den Rücken und schlug mit dem Kopf auf. Nach zwei Operationen wurde der Kläger ins künstliche Koma versetzt. Seit dem Ereignis ist der Kläger rollstuhlpflichtig und wird mittlerweile in einer Internats-Schule für Körperbehinderte Menschen beschult. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, bei der Erledigung von Hausaufgaben handele es sich nicht um eine versicherte Tätigkeit, denn diese sei unmissverständlich aus dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule herausgenommen und uneingeschränkt dem privaten Bereich zugewiesen.
Dem ist das Sozialgericht gefolgt. Das Landessozialgericht hatte die Bescheide der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben. Der Kläger habe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil die Videoaufnahmen im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule stattgefunden hätten. Gruppenprojektarbeit, bei der der schulorganisatorische Rahmen gelockert werde, könne eine organisatorisch von der Schule getragene Unternehmung sein, auch wenn sie im häuslichen Bereich stattfinde. Wenn die Schule den minderjährigen Schülern die Entscheidung überlasse, ob und wie sie eine Unterrichtsaufgabe erledigten und sie dann nicht mehr beaufsichtige, führe dieser „aufgelockerte“ Schulunterricht nicht dazu, dass die gesetzliche Schülerunfallversicherung entfalle. Der Schutzbereich der Unfallversicherung decke diese Formen modernen Unterrichts ab.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b SGB VII. Es habe für die Schule keinerlei Möglichkeit mehr bestanden, Einfluss auf die „Dreharbeiten“ zu nehmen. Diese hätten im nicht versicherten, rein privaten Bereich stattgefunden, für den alleine die Eltern des Klägers die Verantwortung trügen.

Das BSG hat entschieden, dass der Schüler einen Unfall erlitten hat, den die Landesunfallkasse entschädigen muss.

Nach Auffassung des BSG stehen Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Das BSG stellt dabei in ständiger Rechtsprechung darauf ab, ob sich der konkrete Unfall noch im „organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule“ ereignet hat. Auch während schulisch initiierter Gruppenarbeiten, die außerhalb des Schulgeländes nach Unterrichtsschluss stattfinden, seien Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen folglich kraft Gesetzes unfallversichert

Das BSG hält an seiner Rechtsprechung fest, dass kein Versicherungsschutz besteht, wenn Schüler ihre Hausaufgaben im Selbststudium zu Hause erledigen. Es liege jedoch keine „Hausaufgabe“ mehr vor, wenn Lehrkräfte Schülergruppen aus pädagogischen oder organisatorischen Gründen zusammenstellen und mit einer Aufgabe betrauen, die die Gruppe außerhalb der Schule selbstorganisiert lösen soll. Dann setze sich der Schulbesuch in der Gruppe fort, in der neben fachlichen zugleich auch soziale und affektive Kompetenzen untereinander vermittelt und eingeübt werden sollen. Während schulisch veranlasster Gruppenarbeiten finde für jedes Gruppenmitglied „Schule“ und damit ein „Schulbesuch“ ausnahmsweise an dem Ort und zu dem Zeitpunkt statt, an dem sich die Gruppe zur Durchführung der Projektarbeit treffe. Denn bei solchen Gruppenarbeiten würden Schüler zur Verwirklichung staatlicher Bildungs- und Erziehungsziele füreinander „in Dienst genommen“, was ihren Unfallversicherungsschutz bei gleichzeitiger Haftungsfreistellung der Mitschüler erfordere und rechtfertige. Dies gelte umso mehr als das Unfallgeschehen durch einen jugendtypischen Gruppenprozess ausgelöst wurde, dessen Ursache letztlich in der Zusammenstellung der Gruppe durch die Lehrkraft lag.

Als Teil des „Filmteams“, das die Musiklehrerin im Unterricht aus Schülern zusammengestellt hatte, habe der klagende Schüler als „Schauspieler“ am Drehort für die Erstellung des Videoclips versicherte Tätigkeiten im Rahmen eines projektbezogenen Schulbesuchs verrichtet. Damit sei der sich anschließende Heimweg ebenfalls versichert gewesen, und der Schüler hat einen von der Wegeunfallversicherung erfassten Schülerunfall erlitten.

Quelle: Pressemitteilung des BSG v. 23.01.2018